„Ich will nicht führen, ich will begleiten“ – Warum Coaching in der Führungsrolle oft scheitert
Ein Büro, zwei Stühle, ein Gespräch auf Augenhöhe. Die Führungskraft hat sich vorbereitet, will nicht „von oben herab“ sprechen, sondern „coachen“. Der Mitarbeitende schildert ein Problem, die Führungskraft hört aktiv zu, stellt offene Fragen – aber am Ende des Gesprächs muss trotzdem entschieden werden: Wer übernimmt die Aufgabe? Wie gehen wir mit dem Konflikt im Team um? Was, wenn der Mitarbeitende keine Verantwortung übernehmen möchte?
Viele moderne Führungskräfte wünschen sich, nicht mehr nur „Ansagen zu machen“, sondern entwicklungsfördernd zu begleiten. Sie wollen coachen statt kommandieren. Doch genau hier beginnt das Dilemma: Denn Führung und Coaching folgen unterschiedlichen Logiken – und lassen sich nicht einfach miteinander verschmelzen.
Warum das so ist, was die Systemtheorie dazu sagt, und wie sich Coachingimpulse dennoch sinnvoll in die Führungsarbeit integrieren lassen, zeigt dieser Beitrag.
Coaching und Führung - zwei unterschiedliche Systeme
Systemisches Coaching ist in den letzten Jahren zu einem beliebten Begriff in der Führungskräfteentwicklung geworden. Immer häufiger stoße ich auf Weiterbildungsangebote, die versprechen, aus Führungskräften Coachs zu machen. Ziel ist es dabei, Mitarbeitende eben nicht mehr direkt anzuleiten, sondern sie zu „befähigen“. Was auf den ersten Blick modern und menschenorientiert klingt, entpuppt sich jedoch bei näherer Betrachtung als widersprüchlich: Denn Führung ist keine gleichberechtigte Beziehung – Coaching aber schon.
Um dieses Spannungsfeld differenziert zu verstehen, bietet die Systemtheorie von Niklas Luhmann einen hilfreichen Bezugsrahmen. Ihr zentrales Element ist die Annahme, dass soziale Systeme – etwa Organisationen oder Interaktionen – durch Kommunikation operieren und sich autopoietisch reproduzieren. Das bedeutet: Sie erzeugen und erhalten sich durch die eigene Kommunikation – nach ihrer jeweils eigenen inneren Logik.
Schauen wir uns auf dieser Grundlage das Thema „Führung“ näher an. In der Systemtheorie erfüllt Führung eine ganz bestimmte Funktion: Sie sorgt innerhalb von Organisationen dafür, dass Entscheidungen getroffen werden – gerade unter Bedingungen, die von Unsicherheit, Komplexität und widersprüchlichen Erwartungen geprägt sind. Denn in Organisationen gibt es selten eindeutige, rein rationale Lösungen. Unterschiedliche Interessen, Rollenanforderungen und Zielsetzungen stehen oft nebeneinander – oder auch im Konflikt zueinander. Führung hilft dem System „Organisation“, mit dieser Komplexität umzugehen, indem sie Orientierung schafft, Entscheidungen vorbereitet oder trifft und damit Handlungsfähigkeit ermöglicht.
Diese Führungsfunktion ist nicht beliebig, sondern strukturell eingebettet. Organisationen sind arbeitsteilig organisiert – mit festgelegten Zuständigkeiten, Rollenerwartungen, Hierarchien und Entscheidungswegen. Das schafft Effizienz und Klarheit, bedeutet aber auch: Führung ist untrennbar mit Macht, Verantwortung und Erwartungen verbunden. Eine Führungskraft agiert daher nicht als neutrale Person, sondern immer in ihrer Rolle – ausgestattet mit Entscheidungskompetenz, Einflussmöglichkeiten und einer bestimmten Wirkung auf andere.
Coaching hingegen folgt einer grundlegend anderen Logik: Es ist freiwillig, dialogisch und setzt auf die Eigenverantwortung der gecoachten Person. Der Coach stellt Fragen, öffnet Reflexionsräume und begleitet Prozesse der Selbstklärung – ohne Steuerungsabsicht oder Ergebnisverantwortung. Und genau darin liegt der zentrale Unterschied zur Führung: Während Führung notwendigerweise mit Hierarchie, Einfluss und Zielverantwortung verbunden ist, basiert Coaching auf Gleichwertigkeit, Autonomie und individueller Entwicklung. Beides hat seine Berechtigung – aber in unterschiedlichen Kontexten.
Diese Differenz darf nicht übergangen oder nivelliert werden. Sie lässt sich auch nicht einfach auflösen, ohne die jeweiligen Rollenlogiken zu vermischen. Um Coachingelemente sinnvoll in die Führungsarbeit zu integrieren, ist es deshalb essenziell, diese strukturellen Unterschiede wirklich zu verstehen.
Die Hierarchiegrenze als strukturelles Hindernis
Wenn Führungskräfte versuchen, ihre Mitarbeitenden zu coachen, stoßen sie unweigerlich an strukturelle Grenzen. Zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden besteht – ob gewünscht oder nicht – eine Hierarchie. Damit geht eine asymmetrische Beziehung einher: Die Führungskraft hat Entscheidungs- und Steuerungskompetenz, sie beurteilt Leistungen und trifft letztlich Entscheidungen im Sinne der Organisation.
Selbst wenn sie sich bemüht, „auf Augenhöhe“ zu kommunizieren, bleibt die formale Rollenzuweisung bestehen. In diesem Machtgefälle ist Coaching – zumindest im klassischen Sinn – kaum möglich.
Sehr treffend beschreibt das Katharina Staudinger von intrinsify in einem lesenswerten Beitrag: Sie spricht von einer „Verwechslung von Rollenlogiken“. Die Rolle der Führungskraft ist eben nicht die eines Coachs, sondern besteht darin, einen geeigneten Rahmen für Leistung und Orientierung zu schaffen. Führung bedeutet: Verantwortung für die Leistungsfähigkeit des Teams zu übernehmen – nicht, individuelle Entwicklungsprozesse unabhängig von den organisationalen Rahmenbedingungen zu begleiten.
Nicht alles ist coachable - und das ist auch gut so
In der Führungsarbeit gibt es Themen, die nicht zur Disposition stehen. Wenn beispielsweise bestimmte Prozesse eingehalten werden müssen, gesetzliche Vorgaben gelten oder das Verhalten einer Person die Teamstruktur gefährdet, geht es nicht um Coaching – sondern um klare Kommunikation, Vereinbarung und konsequentes Handeln. Führung bedeutet hier: Haltung zeigen, Entscheidungen treffen, Verantwortung übernehmen.
Coaching darf nicht als Ausweichstrategie für unangenehme Führungsaufgaben genutzt werden – etwa, um Konflikten aus dem Weg zu gehen oder Unklarheiten in der Rollengestaltung zu kaschieren.
Systemische Impulse sinnvoll integrieren
Trotzdem können Führungskräfte von der Haltung und den Werkzeugen des systemischen Coachings profitieren – wenn sie diese bewusst und kontextsensibel einsetzen. Systemisches Denken kann dabei helfen, Kommunikation in komplexen Situationen besser zu gestalten und Entwicklung zu fördern, ohne die Führungsrolle zu verlassen.
Zum Beispiel:
- In Entwicklungsgesprächen, wenn es darum geht, die Perspektiven von Mitarbeitenden ernsthaft zu verstehen, gemeinsam Lösungen zu entwickeln und zur Selbstreflexion anzuregen.
- In der Führung selbstorganisierter Teams, wo Steuerung durch Orientierung, Klarheit und Resonanz erfolgt – nicht durch Anweisung.
- Im Umgang mit Komplexität, wenn die Führungskraft anerkennt, dass sie nicht alle Antworten haben muss, sondern durch kluge Fragen die Selbstorganisation des Teams unterstützt.
Hier wird deutlich: Systemische Ansätze lassen sich in der Führung wirksam nutzen – nicht durch das bloße Übernehmen eines Coaching-Settings, sondern durch eine bewusste Gestaltung der Kommunikation in sozialen Systemen. Führungskräfte, die systemtheoretisch geschult sind, wissen: Organisationen funktionieren nicht wie Menschen. Sie folgen anderen Logiken – und genau deshalb brauchen sie gute Übersetzungsleistungen, Orientierung und strukturelle Klarheit.
Fazit: Führung systemisch denken - ohne die Rollen zu verwechseln
Systemisches Coaching kann dann ein wirkungsvolles Führungsinstrument sein, wenn es als Haltung verstanden wird: als Haltung, die Unterschiedlichkeit anerkennt, Verantwortung klar adressiert und Entwicklung ermöglicht – ohne die Rollen von Coaching und Führung zu vermischen.
Führungskräfte können Coaching-Methoden nutzen – aber nur dann wirksam, wenn sie sich ihrer eigenen Rolle bewusst sind: Sie handeln nicht im geschützten Rahmen eines freiwilligen Coachings, sondern in einem organisationalen Kontext mit klaren Zielvorgaben, Erwartungen und Machtverhältnissen.
Wirksam sind Führungskräfte dann, wenn sie systemische Verantwortung übernehmen: wenn sie nicht versuchen, jede Situation zu „coachen“, sondern wissen, wann es um Orientierung geht, wann um Entscheidung – und wann einfach um echtes Zuhören.